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Heidelberg ein Dorf

KETSCH

VORTRAG SCHLOSSFÜHRER MATTHIAS STIEBER REFERIERT IM „MICHELFELDERS“

ÜBER DIE ANFÄNGE DER KURPFALZ UND HEIDELBERG ALS MACHTZENTRUM
Eine eher glücklose Residenz

ARCHIVARTIKEL

18. Mai 2013 Autor: Markus Wirth

© Lenhardt

KETSCH.Keine andere Großstadt in Deutschland ist so eng mit dem arg strapazierten Begriff „Romantik“ verbunden wie Heidelberg, in der es geschätzt so viele meist in die Niederungen des Kitschs reichende Klischees wie Studenten gibt. Fernab aller Touristen-Herrlichkeit beleuchtete nun am Donnerstagabend im „Michelfelders“ der Schloss- und Stadtführer Matthias Stieber die reiche historische Vergangenheit der ehemaligen „Capitale“ – der Hauptstadt – der „Pfalzgrafschaft bey Rheyn“. Stieber nahm, teilweise als Kurfürst Friedrich IV. gewandet, die zahlreichen Gäste von Gabriele Hönig und Nina Schmidt auf eine äußerst unterhaltsame, auch humorvolle und mit vielen Anekdoten gespickte Reise mit.

Diese reichte vom Mittelalter zu Zeiten von Pfalzgraf Ottheinrich bis in die Neuzeit als Großstadt der Lehre und Forschung. „Das Amt des Pfalzgrafen war, im Gegensatz zu einem besitzenden Grafen wie dem Markgrafen, ein funktionelles Amt, wie sie auch der Zentgraf, der Holz- oder der Deichgraf innehatte“, erklärte der Referent des Abends, der seine historischen Ausführungen mit vielen Lichtbildern ergänzte.

Keimzelle im Rheinland

Die Ursprünge der Kurpfalz, so Stieber, lagen im 10. Jahrhundert nicht auf dem Gebiet der heutigen gleichnamigen Region, sondern weiter nördlich im Dreieck Aachen, Köln und Bonn.

„Das Kloster Brauweiler beispielsweise ist noch ein gut erhaltener pfalzgräflicher Bau.“ Politisch hatte die Kurpfalz in all den Jahrhunderten durchaus Gewicht, allerdings wenig Bedeutung in militärisch-strategischer Hinsicht – das Gebiet war wenig homogen, eher wie ein Flickenteppich zwischen dem Rheinland, der Pfalz bis hinüber nach Bayern, wo die eng mit der Geschichte der Kurpfalz verknüpften Wittelsbacher ihren Stammsitz hatten. Auch wirtschaftlich konnte die Kurpfalz nie aus dem Windschatten treten, da zwischen den Territorien zu viele Grenzen lagen.

Durch die Besitztümer der Bistümer Aachen, Köln, Trier und Mainz waren Herrscher wie die Herren von Stahleck gezwungen, die Ausdehnung ihres Gebiets immer weiter nach Südosten hin zu verlagern – „so wurde Heidelberg, das damals vor allem aus einer Burg in Nähe der heutigen Molkenkur bestand, zur Hauptstadt der Kurpfalz“. Daher wird die Burg binnen der folgenden Jahre zu einer mächtigen Pracht- und Militäranlage ausgebaut, das heutige Schloss entsteht zwischen 1400 und 1610. Indes, der wundervollen Anlage hoch über dem Neckar sollte kein langer Bestand vergönnt sein, denn zuerst wird das Schloss im Dreißigjährigen Krieg geschliffen, nach dem Aufbau aber bereits im französischen Erbfolgekrieg abermals in Mitleidenschaft zerstört, bevor es dann einem verheerenden Brand zum Opfer fällt.

„Im Gegensatz zu den anderen Burgen und Schlössern im Deutschen Reich, die im 19. Jahrhundert, wenn auch dem entsprechenden Zeitgeschmack geschuldet, wiederaufgebaut wurden, entschloss man sich, die Heidelberger Anlage als Ruine zu belassen“, sagte Stieber. Viel mehr dienten die Gebäudetorsi den Bürgern der ebenfalls durch das Flammeninferno in Mitleidenschaft gezogenen Stadt nunmehr als Steinbruch, um die zerstörten Häuser wiederaufzubauen.

„Zeitgenössische Maler entdeckten im 19. Jahrhundert die Schlossruine als romantischen Gegenstand ihrer Kunstwerke“, versuchte der Schlossführer das bis heute anhaltende Faszinosum zu erklären.

Es folgten – mit herrlichen Dias – Ansichten dieser riesigen Anlage auf dem Bergsporn und viele interessante Erklärungen zu den einzelnen Gebäuden wie dem Dicken Turm, dem Pulverturm, dem Ökonomiebau, dem Ruprechtsbau mit seinen Königshallen sowie dem Ottheinrichbau und dem „Seltenleer“, dem Schlossgefängnis. Besonders auf Kurfürst Ottheinrich ging Stieber näher ein, der es der grassierenden Pest verdankte, dass er Nachfolger von Friedrich II. werden konnte.

Ottheinrich ohne Glück

„Doch auch ihm war das Glück nur bedingt hold“, erzählte Stieber, denn Ottheinrich, von kleiner Statur, aber mit beachtlichem Übergewicht, starb drei Jahre nach der Amtsübernahme. Mit Geschichten des Schlossweinverwalters und Mundschenks „Perkeo“ (Giovanni Clementi) verließ Stieber dann das Höfische, begab sich thematisch hinunter in die Altstadt und berichtete Interessantes über die Stände und Zünfte.

Vor allem aber über die Ruprecht-Karls-Universität, die älteste Hochschule im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation und nach Prag und Wien die drittälteste Alma Mater Europas. Ehrensache, dass auch der „Karzer“, das Studentengefängnis, Erwähnung fand, ebenso Geschichten von Burschenschaften und Lebensfreude – in einer charmanten Zeitreise durch eine der schönsten Städte Deutschlands!

© Schwetzinger Zeitung, Samstag, 18.05.2013

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